Cover
Titel
Welcome home. 100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern (EBG) 1919–2019


Autor(en)
Leuenberger, Susanne; Geiser, Samuel
Herausgeber
Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern
Erschienen
Baden 2019: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
240 S.
von
Christoph Zürcher

«Welcome home» – das ist genau das Feeling des interessierten Sonntagsspaziergängers, der durchs Eisenbahnerdörfli im Weissenstein schlendert und die Geborgenheit dieser dörflichen Idylle (mit 213 Reiheneinfamilienhäusern, 8 Mehrfamilienhäusern mit 58 Wohnungen, 820 Bewohnern, davon 400 Kinder und Jugendliche, was pro Wohneinheit eine Belegungsdichte von 3,03 ergibt) mitten in der Stadt auf sich wirken lässt. Wer alle 15 Erschliessungsstrassen abmarschiert, lernt einen guten Teil der Eisenbahn- und Eisenbahnergeschichte der Schweiz kennen. Die Strassen tragen Namen grosser Tunnelbauten und wichtiger Eisenbahnpioniere.

Aber die Eisenbahner-Baugenossenschaft (EBG), zu deren Zentenarfeier das Buch ja erscheint, ist nicht nur das von 1920 bis 1925 erbaute Weissensteindörfli, sondern viel mehr. Die EBG ist die grösste gemeinnützige Baugesellschaft der Schweiz. Ihr gehören die sechs Siedlungen Weissenstein, Holligen, Schwabgut, Fellergut, Häberlimatte (Zollikofen) und seit 2015 Blumenfeld im solothurnischen Zuchwil. In Zahlen: 1512 Genossenschaftsmitglieder, 1482 Bewohnerinnen und Bewohner, 91314m2 Grundbesitz, davon 25 900 m2 im Eigentum. Darauf stehen 9 Geschäftslokale, 213 Reiheneinfamilienhäuser (alle im Weissenstein), 41 Mehrfamilienhäuser, 3- bis 20-geschossig (der Doppelbau im Schwabgut war 1969 das höchste Wohngebäude der Schweiz). Gegenwärtig wird die Siedlung Holliger auf dem Warmbächliareal, dem ehemaligen Standort der Kehrichtverbrennungsanlage, gebaut. An ihr ist die EBG zusammen mit fünf andern gemeinnützigen Bauträgern beteiligt. Vorgesehen ist ein 16-stöckiges Hochhaus mit rund 70 Wohnungen.

«Back to the roots – Vom Gartenstadtidyll zur Hochhausutopie» ist denn auch der zentrale wissenschaftliche Beitrag von Anna Bähler betitelt (S. 10 – 49). Die Autorin entwirft eine faktenreiche und präzise Geschichte der EBG, die sie in den Kontext der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in der Schweiz einbettet. Thematisiert werden die mühsamen Anfänge, der Aufschwung ab den 1950er-Jahren (dank den grossen Landreserven im Westen Berns), der Vorstoss in die dritte Dimension, die Professionalisierung der Genossenschaftsstruktur, die Öffnung für Nichtgenossenschafter und Ausländer, die Alterung der Bewohner, die Alterung der Bausubstanz, die Probleme der Gemeinschaftspflege (Büsi, Kinderlärm und Waschmaschine ...). Begleitend zu diesem spannend zu lesenden Stück Sozialgeschichte der Schweiz hätte man gerne noch etwas mehr Planmaterial gehabt zu den Siedlungen und zu den Wohnungstypen, die sich natürlich im Verlauf der Zeit weiterentwickelt haben.

In einem weiteren substanziellen Beitrag diskutiert Markus Waber von der städtischen Denkmalpflege mit einem Vorstandsmitglied der EBG denkmalpflegerische Aspekte und Probleme im Eisenbahnerdörfli. Wie lässt sich ein Ensemble, das denkmalpflege- risch in die höchste Schutzklasse gehört, an heutige Bedürfnisse und Notwendigkeiten anpassen? Stichworte: einheitliches Erscheinungsbild, energetische Sanierungsmass- nahmen, altersgerechtes Wohnen. Die grossen Gärten, einst als «Pflanzplätze» benutzt, heute mit Rasenflächen überzogen, wecken natürlich Verdichtungsgelüste. Wie geht man damit um?
Der zweite Teil des Buches ist unter dem Titel «Homestorys» den einzelnen Siedlungen gewidmet, und zwar in Form von Reportagen, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner zu Wort kommen. Es sind Jugendliche und Senioren, Schweizerinnen und Ausländer, Familien und Einzelpersonen, die über das Leben in den Genossenschaftssiedlungen erzählen, was ein farbiges Kaleidoskop von Lebensentwürfen, Befindlichkeiten und Perspektiven ergibt – eine spannende und vergnügliche Lektüre!

Ruben Hollinger steuert zu dem gediegenen Band zahlreiche Fotografien bei, die den Charakter der einzelnen Siedlungen gut ins Licht setzen. Sehr hübsch sind zum Beispiel die Fotografien zur Weissensteinsiedlung: ein Arbeitszimmer mit Modellbahnanlage über dem Schreibtisch, ein Kinderzimmer mit einem Kartonmodell des berühmten «SBB-Krokodils», eine Gartenanlage mit Baum und Tulpenbeet, umfahren von einer Gartenbahnlinie – eben Eisenbahnersiedlung. Andere Bilder sind beliebiger, etwa ein nichtssagendes doppelseitiges Bild mit Hortensien.

Das Buch ist sehr zur Lektüre zu empfehlen, steht doch die Frage nach bezahlbarem Wohnraum auch heute wieder weit oben auf der politischen Agenda. Ein Jubiläum soll ja nicht nur Rückschau sein, sondern auch Vorschau. Diesen Anspruch zu erfüllen, ist mit diesem Buch vollauf gelungen.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Leuenberger, Susanne; Geiser, Samuel: Welcome home. 100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern (EBG) 1919–2019. Hrsg. von der Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern. Baden: Hier und Jetzt 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 1, 2020, S. 71-72.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 1, 2020, S. 71-72.

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